Wie bitte? “UNFUCK THE ECONOMY” – Wie soll das funktionieren?
Seit April des Jahres 2021 wirke ich bei „Wir lernen online“ in der Fachredaktion Nachhaltigkeit mit. Zurzeit lese ich viel zu den Themen nachhaltige Wirtschaft und Organisationsentwicklung. Dabei bin ich auf das Buch „UNFUCK THE ECONOMY – Eine neue Wirtschaft und ein besseres Leben für Alle“ gestoßen. Die Autoren Waldemar Zeiler und Katharina Höftmann-Ciobotaru schreiben authentisch und ungeschönt über neue ökonomische Wege und Werte.
Das wir gerade dabei sind den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen, ist den meisten schon bekannt. Doch wie wir es schaffen die Klima- und Biodiversitätskrise abzuwenden, das Wachstum der sozialen Ungleichheit zu stoppen, während eine Pandemie im Gange ist, in der die Politik unser Wirtschaftssystem massiv finanziell stützt und Menschen arbeitslos werden, das ist eine wirklich harte Nuss. Und diese Nuss kann laut Waldemar nur geknackt werden, in dem wir unsere Wirtschaft unfucken und gemeinsam ein radikal anderes Normal aufbauen. Die Quellen aus dem Artikel findet ihr auf der Themenseite Wirtschaft und Arbeit.
Wie Einhorn mit Kriterien namens unicornique, fairstainability, fug fight and hug zum Wirtschaftswandel beiträgt 🦄
Waldemar Zeilers Buch sprudelt vor konkreten Handlungsalternativen und das Fantastische ist, viele davon hat er selbst ausprobiert. Der Mann spricht aus Erfahrung, und scheut sich nicht, negative Emotionen, Ängste und Fehler einzugestehen. Das Start-Up Team von Einhorn schafft es mit viel Humor und Aktivismus, erfolgreich fair produzierte Kondome und Menstruationsartikel zu verkaufen Mit Unternehmenskriterien wie unicornique, fairstainability, fug fight and hug und guten Storys verkaufen sie ihre Produkte und zeigen uns, wie nachhaltiges, faires und freudiges wirtschaften aussehen kann.
Dabei war einer der schwersten Schritte die Überschreibung des Unternehmens an sich selbst. Das sogenannte Verantwortungseigentum sichert die Selbstorganisation und verhindert die Ausschlachtung des Unternehmens durch Shareholder*innen (Inhaber*innen, Anteilseigner*innen und Aktieninhaber*innen). Das Verantwortungseigentum ist der Grundbaustein einer neuen Wirtschaftsweise, in denen alle Mitarbeiter*innen die Verantwortung für das Unternehmen tragen und die Chefetage zum Hobbyraum umfunktioniert wird. Auch Vorstände sind nicht vorhanden und das Startkapital wird durch eigene Mittel oder Crowdfunding Kampagnen eingeholt. Eine Revolution von unten, die mutige Menschen und einen langen Atem braucht. Bei Einhorn darf sich jede*r in seiner/ ihrer Rolle entfalten und wenn nötig neue Rollen kreieren.
Diese neue Arbeitsweise (New Work) führt im Idealfall zu selbstbewussten, glücklichen Mitarbeiter*innen, die keinen Egotrip fahren und in die Internas des Unternehmens eingebunden sind. Wenn jede*r eine Verbindung zum Unternhemen spürt, so können alle gemeinsam wirken und allen Widrigkeiten trotzen. Zum Beispiel sich gegen die feindliche Übernahme bzw. gerichtliche Klage, milliardenschwerer Großkonzerne, zur Wehr setzen. Die drohen nämlich, wenn die Großen merken, dass ihre Macht in Gefahr ist. Zusammenfassed gesagt: Alles beginnt mit der Organisationsentwicklung. Ein beliebtes Standardwerk der Organisationsentwicklung ist das Buch Reinventing Organizations von Frederic Laloux.
“Wir brauchen keine neue App, wir brauchen ein neues Betriebssystem.” ⚙️
Doch das Arbeiten in selbstorganisierten, unabhängigen Unternehmen ist alles andere, als ein Spaziergang. Es erfordert viel Kommunikation, z.B. nach dem Ansatz der gewaltfreien Kommunikation, Transparenz und Leidenschaft. Kein Wunder, dass Waldemar über die Theorie U von Otto Scharmer und eine Bewusstseinsveränderung schreibt. Denn laut Otto Scharmer folgt die Form dem Bewusstsein. Über eine neue Unternehmensform zu reden, deren Akzeptanz zu fördern und Arbeitnehmer*innen mal wirklich zuzuhören, ja das sind die wichtigsten Schritte. Auch das Team des Neue Narrative Magazines wirkt in diesem Spannungsfeld und möchte mit Artikeln, Modellen und Methoden zum Nachdenken anregen.
Nehmen wir uns auf der Arbeit noch als ganze Menschen oder als Arbeitsmaschinen wahr? Wie ist der Umgang mit Krankheiten und persönlichen Bedürfnissen? Erkenne ich einen Sinn hinter meiner Arbeit oder fühlt es sich an wie ein Bullshit-Job? Fällen wir Entscheidungen, weil es dem EGO gut tut oder weil es der Sache dient? In Zukunft könnten noch viel mehr Menschen ihr Engagement für den Klima- und Biodiversitätsschutz nicht nur privat auf Demos vertreten sondern auch im Kontext ihrer Arbeit.
Vom Inneren zum Äußeren Wandel und zu einer artgerechten Unternehmensstrategie
Um die eingetretenen Wirtschaftspfade endlich verlassen zu können, braucht es mehr als ein grünes Logo, Werbeslogans und Hilfsprojekte. Es braucht neue Unternehmensstrategien und Werte, die durch Gesetze gestützt werden. Eine dieser freiwilligen Strategien nennen die Einhörner fairstainability. Ganz zu Beginn des Unternehmens wurde ein fairstainability-Einhorn eingestellt, dass Kooperationen mit Kautschuk Bauern und Bäuerinnen aufbaute, um fair und naturverträglich Kautschuk einzukaufen. Es wurde der CO2 – Fußabdruck eines Kondoms errechnet und eine CO2 -Kompensation in Form von Baumpflanzungen vereinbart. Dank der Mitarbeiterinnen, gibt es auch Menstruationstassen und Tampons. Ohne ein vielfältiges Team würden machen Dinge einfach auf der Strecke bleiben. So spielt neben der Lieferkette auch das Klima und das Miteinander im Team eine entscheidende Rolle für den Erfolg des Unternehmens.
Wege aus der Modernen Sklaverei und der globalen Ungleichheit 🌎
Gleich zu Beginn seines Buches schreibt Waldemar über die Geschichte unserer ressourcenausbeutenden, menschenverachtenden Wirtschaft. Das Buch King Cotton von Sven Beckert macht deutlich, wie durch Sklaverei und billige Rohstoffe ein Innovationsdruck entstand, der wiederum zu technischen Neuerungen führte. Wir nehmen also die billigen Arbeitskräfte für die Rohstoffe, in Form von moderner Sklaverei, die Verarbeitung mit Hilfe von meist umweltschädlicher Technik und voilá die Preise sinken. Billige Shirts, Spielzeuge und Lebensmittel sind keine Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, sondern der Anfang vom Ende. Billig ist hoffentlich bald out und alles was auf Kosten der Gesundheit anderer und des Planeten produziert wird, ist ein NO GO!
Waldemar widmet sich daher auch dem Thema Ungleichheit. Gerechtfertigt wurde die Sklaverei durch ein minderwertiges Bild des afrikanischen, dunkelhäutigen Menschen. Zurzeit der europäischen Aufklärung legitimierte die Rassenlehre weiterhin Sklaverei und das vorherrschende Frauenbild die Unterdrückung der Frauen. Das Klischee der gefühlsbetonten, emotionalen und weniger intelligenten Frau hat seine Wurzeln auch in der Kant’schen Anthropologie und hält sich bis heute hartnäckig. Auch im Umgang mit der Hautfarbe gibt es noch großen Reflexionsbedarf. Sind Frauen, LGBTQIA+ und farbige Menschen in Führungspositionen doch genauso wichtig, wie mehr Männer in Kindergärten. Vor allem die unbezahlte Care Arbeit führt heute noch zu einer erhöhten Altersarmut bei Frauen.
Durch politische Regulierungen Ungleichheit bekämpfen
Ungleichheit fördert Hass, Neid und Missgunst und schürt Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung. Auf die reichsten zehn Prozent entfallen etwa 85% des weltweiten Vermögens. Staaten, die auf der Grundlage von Steuern eine gerechte Verteilung fördern, tragen somit zum sozialen Klima und mehr Fairness bei. Wir müssen Steueroasen auf der politischen Ebene Einhalt gewähren. Waldemar führt dazu im Kapitel Politik das Beispiel von Nike auf. Die Süddeutsche Zeitung analysierte im Jahr 2017 anhand des Kaufs von Nike Schuhen den Weg des zu versteuernden Gewinns. So sparen Unternehmen 500 bis 600 Mrd US-Dollar jährlich an Steuern. Die Einhörner zahlen 2,7 % ihres Umsatzes an den deutschen Staat, Nike hingegen nur 0,63% ihres Umsatzes in Deutschland.
Die Aufforderung an die Politik nach mehr Regulierung könnte auch durch eine stärkere Bürger*innenbeteiligung in Form von Bürger*innenräten gestützt werden. Auch um ein Überlaufen ehemaliger Politiker*innen mit ihrem Insiderwissen in die Wirtschaft (Drehtür-Mechanismus) zu verhindern, könnten wir gemeinsam strengere Regelungen fordern, als auch bei der Vergabe Pandemie bedingter Hilfspakete. So wurde die Lufthansa mit rund 9 Milliarden Euro subventioniert, obwohl die Lufthansa alles andere als umweltfreundlich ist und als internationaler Konzern mit zahlreichen Tochterfirmen in Steueroasen erstaunlich wenig Unternehmenssteuern zahlt. Und das schlimmste ist, noch bevor die Lufthansa die Rückzahlung der staatlichen Gelder geschafft hat, wird wieder über Bonuszahlungen für Manager*innen diskutiert.
Ungleichheit abschaffen durch faire und angemessene Löhne für alle
In seinem Buch beschreibt Waldemar, wie die Einhörner es schaffen, trotz selbst auferlegter Ökosystemleistungen und ganz ohne Steuertricks profitabel und glücklich zu sein. Yes we can! Die Einhörner zahlen nämlich keine Dividenden, keine Boni, haben kein Marketing-Budget, keine Personalabteilung und zahlen sich selbst faire Gehälter mit klaren Begrenzungen nach oben. Wie viel Geld brauche ich tatsächlich zum Leben und was würde ich tun, wenn Geld keine Rolle spielt?
Ein wirtschaftlicher Eid, ähnlich des hippokratischen Eides der Mediziner*innen, könnte laut Waldemar helfen, diese Begrenzungen zu spüren. Unternehmer*innen könnten schwören fair zu wirtschaften und der Umwelt nicht zu schaden. Konsument*innen könnten gezielt schauen, bei wem sie kaufen und ob sie den Artikel wirklich benötigen. Politiker*innen, Bürger*innen, Konsument*innen/ Kund*innen, Arbeitnehmer*innen und Unternehmer*innen können nur gemeinsam die Wirtschaft unfucken und wieder neu aufbauen. Es ist alles eine Frage des Willens und der Prioritäten.
Früher galt das Ideal vom Tellerwäscher zum Millionär. In Zukunft könnte es heißen: von potenziellen Burnout Patient*innen zu glücklichen Weltretter*innen oder von der einsamen Hausfrau zur fairstainability Gründerin.
Zur Autorin:
Koray Karabiyik arbeitet bei WirLernenOnline als Fachredakteurin in den Fachbereichen Zeitgemäße Bildung und Nachhaltigkeit, in denen freie Bildungsmaterialien (OER) gesammelt werden. Hauptberuflich arbeitet sie als Diplom-Pädagogin im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Neben dem Themenschwerpunkt Ernährung beschäftigt sich die Autorin auch mit den Schlüsselkompetenzen der BNE, wozu auch die Gestaltungskompetenz und Kooperationsfähigkeit gehören.